
Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand hat bestätigt, dass es der Wunsch der Spieler war, die Partie trotz des Zusammenbruchs und der minutenlangen Reanimation ihres Kollegen Christian Eriksen noch am Samstagabend fortzusetzen. „Wir hatten zwei Optionen: Das Spiel fortzusetzen oder morgen um 12 Uhr zu spielen. Aber jeder wollte heute weiterspielen“, sagte der frühere Bundesliga-Coach von Mainz 05 nach dem 0:1 gegen Finnland bei der Pressekonferenz.
Spiel wurde auch auf Eriksens Wunsch weitergeführt
Spieler beider Teams und auch ein Offizieller des dänischen Verbands berichteten am Abend, dass es Eriksens Wunsch gewesen sei, die Partie zu beenden. Hjulmand sprach aber noch von einem weiteren Argument: „Die Spieler waren sich sicher, heute nicht mehr schlafen zu können. Morgen zu spielen, hätte die Situation noch schwerer gemacht. So haben sie beschlossen, es hinter sich zu bringen. Das war ihre Entscheidung.“ Der Trainer nannte es „unglaublich, was meine Spieler geleistet haben. Ich könnte nicht stolzer auf meine Spieler sein“.

Im EM-Vorrundenspiel zwischen Dänemark und Finnland war der 29 Jahre alte Eriksen von Inter Mailand kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit auf dem Rasen zusammengebrochen und regungslos liegengeblieben. Sofort herbeigerufene Helfer leiteten lebensrettende Maßnahmen ein. Eriksen wurde ins Krankenhaus transportiert, wo sich sein Zustand nach Angaben des dänischen Verbandes stabilisierte.
Weltmeister Kramer und Mertesacker kritisieren die UEFA
Von außen gab es für die Entscheidung, das Spiel fortzusetzen, Kritik von mehreren Seiten, unter anderem von den früheren Fußball-Weltmeistern Christoph Kramer und Per Mertesacker. Kramer sagte im ZDF: „Da liegt der Fehler meiner Meinung nach bei der UEFA, die sagen muss: Wir haben eine weitere Sicht dazu, da wird heute nicht mehr gespielt. Ich weiß nicht, wer da eine andere Meinung haben kann.“ Und weiter: „Die Frage ist, kann einer von denen in diesem Moment einen klaren Gedanken fassen. Da sage ich einfach: Nein. Da ging es heute nicht um Fußball. Dann finde ich: Emotionen erstmal sacken lassen, eine Nacht drüber schlafen, dann kann man es immer noch spielen.“

In einem ersten Interview nach der Partie hatte sich Dänemarks Trainer Hjulmand einer Übersetzung im ZDF zufolge sichtlich ergriffen gezeigt: „Wir hatten einen der unseren, der am Boden lag und um sein Leben kämpfte. Das bedeutet, dass Fußball völlig sinnlos wird. Wir sind froh, dass es ihm gut geht.“
Kritik an Fortsetzung der EM-Partie kommt auch von Dänemark-Legen Laudrup
Dazu sagte Per Mertesacker: „Wenn man das Interview im Nachgang hört, dann fragt man sich, warum die noch gespielt haben. Das ist meine Frage. Ich kann es nicht begreifen.“ Der dänische Verband kündigte noch am Abend an, dass den Spielern und Eriksens Familie nun professionelle Hilfe in Form von psychologischer Betreuung angeboten werde. „Es ist eine traumatische Erfahrung, der sie ausgesetzt sind“, sagte Trainer Hjulmand.

Ähnliche Worte wie Mertesacker und Kramer fand auch Dänemarks Fußball-Legende Michael Laudrup. „Ich respektiere, dass unsere Mannschaft und auch die Finnen es geschafft haben, weiterzuspielen. Aber wenn so etwas passiert, sind sie voller Emotionen und haben nicht die Übersicht, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Es muss jemanden geben, der dann sagt: Wir hören hier auf“, argumentierte der frühere Spieler des FC Barcelona, von Real Madrid und Juventus Turin als EM-Experte des dänischen Fernsehsenders TV3+. Laudrup meinte damit den europäischen Fußball-Verband UEFA.
Pressestimmen: „Wir haben schon Europameister. Die Ärzte“
Eriksens Zusammenbruch hatte am Samstagabend weltweit für Bestürzung gesorgt. Der Fußball bei der erst am Freitag gestarteten EM ist seither völlig in den Hintergrund gerückt. Die Pressestimmen zum Eriksen-Schock:
Rundfunksender DR: „Einer für alle und alle für Eriksen. Die Spieler stellten sich im Kreis um Eriksen und versuchten, die Sicht auf ihren Mannschaftskameraden zu verringern, während die Ärzte begannen, Herzmassagen zu geben. Die Zuschauer umarmten sich, fassten sich an die Köpfe. Dort lag ein Vater zweier Kinder und kämpfte um sein Leben. Keiner der Anwesenden im Parken wird das jemals abschütteln können. In wenigen Minuten hatte sich das, was als Fußballfest begann, zu einem Alptraum entwickelt. Und kurz darauf war es unmöglich, die Gänsehaut zurückzuhalten, als die finnischen Fans den Vornamen des Dänen in den Parken herausbrüllten, und die Dänen mit einem schallenden „ERIKSEN“ antworteten. Hin und her. Er ist einer von uns. Es gibt wichtigere Dinge als Fußball.“

Sender TV2, Fußballkommentator Flemming Toft: „Die unwirkliche Wirklichkeit. Wenn der Fußball gleichgültig wird. Und die Zeit stillsteht. In etwas des am meisten pulsierenden – dem Leben. Wir haben die Luft angehalten und wir haben gebetet, dass er es schafft. Das schmerzte tief drinnen, dort, wo das Herz schlägt. Ein Schock, der sich ausbreitete und die Tränendrüsen in die Knie zwang. Die Gedanken übernahmen und machten alles andere bedeutungslos.“ Boulevardzeitung „Ekstra Bladet“: „Dänemark hat verloren – das Leben hat gewonnen.“
„Corriere dello Sport“: „Wunder bei der EM. Eriksen bricht auf dem Platz zusammen: Der Einsatz von Kjaer und der Defibrillator retten ihn. Angst während Dänemark gegen Finnland: Ehefrau, Mannschaften und Publikum in Tränen.“
„Tuttosport“: „Chris, wir sind bei dir! Drama in Kopenhagen. Er bricht auf dem Platz zusammen und man befürchtet das Schlimmste. Von der großen Angst zur großen Erleichterung.“
„La Stampa“: „Für einen Moment hört das ganze Stadion auf zu atmen. Es gibt nicht eine Bewegung, kein Geräusch, nur eine Lawine der Stille. Es liegt ein Mann auf dem Boden, Christian Eriksen, er scheint tot, vielleicht ist er es wirklich für einige Minuten, und wird durch ein wahres Wunder gerettet.“

„Marca“: „Wir haben schon Europameister: Die Ärzte.“
„El Pais“: „Das Blut aller Fußballfans ist am Samstag gegen 18.40 Uhr plötzlich gefroren.“
Sportportal „Sport-Express“: „Es scheint so, als ob das wichtigste Ereignis der Euro 2020 bereits stattgefunden hat. Und das im dritten Spiel. Es wird als die Europameisterschaft selbst in Erinnerung bleiben, bei der Christian Eriksen beinahe gestorben wäre. Glücklicherweise wurde eine solche Tragödie verhindert. Es spielt keine Rolle mehr, ob der 29-jährige Mittelfeldspieler weiter Fußball spielen kann oder ob seine Karriere nun enden wird. Die Hauptsache ist, dass er lebt.“
von dpa