So ist nur Recklinghausen-Süd

Redakteur
Rundgang "The people of..." durch Recklinghausen-Süd mit Ruhrfestspiel-Intendant Olaf Kröck (r.) © Meike Holz
Lesezeit

Recklinghausen-Süd? Na ja. Da kann man leben. Muss man nicht. Falsch gedacht. Das, was der Audiospaziergang der Recklinghäuser Ruhrfestspiele – täglich und kostenlos – zeigt, eröffnet einen neuen und beeindruckenden Blick auf den Stadtteil. Es ist mehr als bemerkenswert. Wirklich. Es ist ein völlig neuer Blick auf einen absolut nur vermeintlich bekannten Ort.

Der Audiospaziergang „The people of… Recklinghausen Süd“, eine Koproduktion der Ruhrfestspiele mit Quarantine, Manchester, führt über die Bochumer Straße in Recklinghausen-Süd, Knotenpunkt des alltäglichen Lebens, ein Ort, an dem Menschen und Realitäten sich kreuzen und zusammenlaufen.

Doch was soll das? „The people of …“ ist entstanden aus Gesprächen mit zehn Menschen, die entlang des zentralen Kilometers der Bochumer Straße arbeiten, der Audiospaziergang ist gestaltet aus Fragmenten ihrer Leben. Ganz persönlich. Ganz klar. Ganz konkret.

Ein Smartphone und ein paar Kopfhörer reichen… © Meike Holz

Unter ihnen sind Menschen, die bereits seit langer Zeit hier und andere, die gerade erst angekommen sind. Menschen mit deutscher und Menschen mit einer anderen Staatsbürgerschaft, ob durch eine bewusste Entscheidung oder durch äußere Umstände.

Der syrische Flüchtling und der seit 26 Jahre hier lebende Türke. Die Frau, dessen Haus schon der Großmutter gehört hat, und die Friseurin, die mit ihren Kundinnen auch mal gemeinsam weint. Oft. Der Karnevals-Zug-Leiter, der mit seiner Frau Heike schon einmal Stadtprinzenpaar war und der Shisha-Bar-Besitzer, der gerade seinen Führerschein macht und eigentlich gerne Autos aufmöbeln würde.

Sie wurden gefragt, wie sie hergekommen und warum sie geblieben sind, wurden nach Nachbarschaft, Nationalismus und ihren Plänen für morgen gefragt. Der Schneider, der sein Handwerk im Alter von elf Jahren erlernte, der Hähnchenbudenbesitzer, der richtig kräftige Höhenangst hat, die Tätowiererin, die nahezu die ganze Nachbarschaft tätowiert hat – „erst waren es viele Rosen, hinterher aber jede Menge Totenköpfe“, die Betreiberin des Buchladens, die sich nicht vorstellen kann, irgendwo anders zu wohnen und der Postbote, der jede Tür kennt und mehr als 20 Tage gebraucht hat, um nach Recklinghausen zu kommen…

„The people of …“ stellt Fragen über Zugehörigkeit, Aufenthalt und für wen dieser Ort – oder irgendein Ort – eigentlich da ist. Das Projekt wurde von dem aus Manchester kommenden Künstlerensemble Quarantine entwickelt, das vier Wochen in Recklinghausen Süd gelebt und gearbeitet hat – und dort selbst zu temporären Bewohnern wurde. Es ist ein Knaller. Auch wenn man 70 Minuten braucht, um den gesamten Parcour abzugehen.

Die Künstler von „The people of…“ mit Ruhrfestspiel-Intendant Olaf Kröck. © Meike Holz

Gerahmt von einer Komposition des Kölner Musikers Julian Stetter ist ein Klangporträt der Bochumer Straße entstanden, das den Hörspaziergang während der Erzählungen begleitet. In Britts Bücherforum steht während der Ladenöffnungszeiten außerdem ein Buch bereit, das nach dem Spaziergang durchgesehen werden kann. Es dokumentiert, mit wem gesprochen und welche Fragen gestellt wurden. Das Buch enthält auch türkische und arabische Übersetzungen der Interviews.

Der Audiospaziergang ist eine feste Route mit einzelnen Stationen zum Hören in Recklinghausen Süd. Es gibt keine zeitlichen Vorgaben für den Spaziergang, er kann zu jeder Zeit eigenständig mit dem internetfähigen Smartphone oder Tablet und Kopfhörern durchgeführt werden.

Und eines kann man den Usern des Audiospaziergangs versprechen. Der Blick auf Süd ist neu. Die Menschen, die man kennenlernt, sind interessant. Und – wir verraten nicht wo – einen Kaffee oder eine Pommes gibt es kostenlos dazu!