Die Angst der CSU vor der 5-Prozent-Hürde Es gibt eine Lösung, aber die missfällt in Bayern

Die Parlamentarier debattieren im Plenum im Bundestag über die Sitzordnung.
Die Zahl der Sitze im Bundestag soll schrumpfen, von derzeit 736 auf künftig 630. Richtig so, sagt unser Kommentator und hat ein paar Anregungen für Linke und CSU, die dieses Vorhaben ablehnen. © picture alliance/dpa
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Immer, wenn es ums Kürzen, Einsparen, Verkleinern, um den Abbau von Privilegien oder Vergünstigungen geht, tut das weh. Das ist in der Politik nicht anders als im wirklichen Leben. Deshalb ist es fast schon ein Wunder, dass sich die drei Parteien der Berliner Koalition auf eine Verkleinerung des Deutschen Bundestags verständigt haben.

Bei CSU und der Linken haben die Pläne, die Zahl der Sitze von derzeit 736 auf fixe 630 zu reduzieren, erst einen Schock und dann lautes Protestgeschrei ausgelöst: „Wir ziehen nach Karlsruhe“.


Verständlich. Schließlich sollen nicht nur Überhang- und Ausgleichmandate grundsätzlich gestrichen werden, was zur Folge hat, dass nicht alle gewählten Direktkandidaten auch im Parlament sitzen. Geplant ist auch, die Grundmandatsklausel zu streichen. Und das könnte vor allem für CSU und Linke verheerende Folgen haben.

Die Grundmandatsklausel

Diese Grundmandatsklausel besagt, dass eine Partei in einem Fall auch dann in den Bundestag einziehen kann, wenn sie nicht die 5-Prozent-Hürde überspringen konnte. Einzige Bedingung: Die Partei muss mindestens drei Direktmandate erringen. In dem Fall aber ziehen nicht nur diese drei Direkt-Gewählten ins Parlament ein, sondern: Die Partei erhält so viele Sitze, wie es ihrem Anteil an den Zweitstimmen entspricht.

Nur aufgrund dieser Regelung sitzt derzeit die Linke mit 39 Abgeordneten im Bundestag. Sie hat zwar nur 4,9 Prozent der Stimmen gewonnen, aber eben drei Direktmandate. Fällt die Grundmandatsklausel, hätte sich das erledigt. Und die CSU hat bei den letzten Wahlen 2021 auch nur 5,2 Prozent der Stimmen geholt. Auch das ist dann sehr nah am Abgrund. Beim nächsten Mal könnte sie auch unter 5 Prozent rutschen.

Es kann nicht nur Gewinner geben

So verständlich der Zorn der ums politische Überleben kämpfenden kleinen Parteien auch ist, so nachvollziehbar ist der Wunsch weiter Teile der Bevölkerung, eine weitere, auch extrem teure Aufblähung des Bundestages zu verhindern und das Parlament auf ein Normalmaß zu schrumpfen.


Dabei kann es nicht nur Gewinner geben, wenn mehr als 100 blaue, mit sehr ordentlichen Diäten und so mancher Annehmlichkeit gepolsterte Sessel plötzlich aus dem Plenarsaal getragen werden.

Übrigens: Diät ist schon ein mehr als merkwürdiges Wort für ein so üppiges Salär. Mit Sicherheit wird niemand durch diese Diät der besonderen Art zum Verzicht auf Speis und Trank genötigt.

So sehr ich das Geheule von Linken und CSU aus deren Perspektive heraus nachvollziehen kann, so sehr sollten beide Parteien akzeptieren, dass die 5-Prozent-Hürde für ein Funktionieren demokratischer Prozesse ungemein nützlich ist.

Im Übrigen: Selbst wenn es nur eine 3-Prozent-Hürde gäbe, hätte davon bei der Wahl 2021 lediglich die Linke und sonst niemand profitiert, alle anderen angetretenen Parteien lagen deutlich unter drei Prozent. Vielleicht sollte die Linke weniger darüber nachdenken, von welchem Wahlrecht sie am meisten profitieren würde, als sich zu fragen, wie sie von ihrer Politik mehr Menschen überzeugen könnte.

Und bei der CSU wäre die Sache doch ganz einfach. Wenn die Bayern nicht unbedingt ihr eigenes Süppchen kochen müssten und mit der CDU der anderen 15 Bundesländer zu einer einzigen Partei verschmelzen würden, müssten sie keine Angst vor der 5-Prozent-Hürde haben.

Ich bin allerdings ganz und gar nicht sicher, dass die CSU wirklich nur Teil eines großen Ganzen werden will. Schließlich hat Bayern noch immer das Gefühl, etwas wirklich Besseres zu sein als der Rest Deutschlands. Im Grunde schlummert in Bayern, wie es der Name Freistaat schon ausdrückt, der tiefe Wunsch, wirklich ein eigener, unabhängiger Staat zu sein.

Und wie sieht es auf der anderen Seite aus? Da bin ich mir ebenfalls mehr als unsicher bei der Frage, ob sich „das große Ganze“ über einen solchen Neuankömmling freuen würde.

Ganz sicher bin ich allerdings, dass ich froh bin, dass die Verkleinerung des Bundestages am Freitag dank einfacher Mehrheit auch gegen die Stimmen von CSU und Linken beschlossen werden kann. Und dass das eine gute Sache ist.

630 Bundestags-Sitze sind genug. Damit würde ein Abgeordneter in Deutschland künftig rund 132.000 Einwohner vertreten, derzeit sind es 113.000 Einwohner. Ja, es gibt durchaus Länder, in denen ein Abgeordneter rechnerisch weniger Einwohner vertritt als in Deutschland, beispielsweise Belgien (77.267), Polen (82.065) oder Portugal (44.913), aber:

Länder, die mit noch weniger Abgeordneten auskommen

Es gibt auch Länder, die annähernd so groß sind wie Deutschland und in denen man mit weniger Abgeordneten auskommt. Dazu zählen Frankreich (ein Abgeordneter für 117.400 Einwohner), Italien (147.800) uns Spanien (135.486). Und wenn wir über den europäischen Tellerrand hinausschauen, wird das Verhältnis noch einmal deutlicher: In Japan kommt ein Abgeordneter auf 270.300 Einwohner und in USA sogar ein Abgeordneter auf 763.000 Einwohner.

Wenn also künftig im Deutschen Bundestag 106 Menschen weniger mitreden und mitbestimmen, wird die Demokratie daran nicht sterben und unser Land wird nicht untergehen. 630 ist eine ordentliche Größe. Daran sollten wir uns gewöhnen und nach Jahren der Diskussionen mit dem Lamentieren aufhören. Es gibt für die Politik gerade Wichtigeres zu tun, als sich um die Zahl schöner Pöstchen für Politikerinnen und Politiker zu streiten.